Telenotarzt – Wer will ihn denn eigentlich?

Unter dem provokanten Titel „Telenotarzt – Wer will ihn denn eigentlich?“ stellte Prof. Dr. Stefan Schmerbeck von der Fliedner Fachhochschule letzte Woche im Rahmen der gemeinsam mit der HSD durchgeführten rettungswissenschaftlichen Ringvorlesung seine Forschungsergebnisse zur Akzeptanz und Wirkung telemedizinischer Notfallversorgung vor. Der ausgewiesene Experte für angewandte Rettungswissenschaften gewährte in seinem Online-Vortrag tiefe Einblicke in das Pilotprojekt „Telenotarzt Bayern“ und diskutierte kritisch dessen Auswirkungen auf Arbeitsbelastung, Zufriedenheit und Zusammenarbeit im Rettungsdienst.

Dr. Schmerbeck, selbst Feuerwehrbeamter, Notfallsanitäter und seit 2025 Honorarprofessor an der Fliedner Fachhochschule, begleitete das Projekt wissenschaftlich im Rahmen seiner Dissertation an der LMU München. Ziel war es, zu evaluieren, welche Auswirkungen sich durch die Einführung des Telenotarztprojektes auf die Arbeitszufriedenheit und Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden im Rettungsdienst ergeben.

In seinem methodisch breit angelegten Studiendesign kombinierte Schmerbeck qualitative Interviews mit standardisierten Fragebögen. Befragt wurden insgesamt über 250 Beteiligte aus fünf Berufsgruppen, darunter Notärzt*innen, Rettungskräfte, Telenotärzt*innen, Mitarbeitende der integrierten Leitstellen sowie Krankenhauspersonal.

Ergebnisse ernüchternd, aber differenziert

Die im Vortrag vorgestellten Ergebnisse zeichnen ein gemischtes Bild: Weder Arbeitsbelastung noch Mitarbeiterzufriedenheit verbesserten sich signifikant nach der Einführung des Telenotarztsystems – entgegen der ursprünglichen Hypothesen. Auch die wahrgenommene Qualität der Patientenversorgung blieb aus Sicht der meisten Berufsgruppen weitgehend konstant. Lediglich in der Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienstpersonal und Telenotärzten ließ sich eine signifikante Verbesserung feststellen. Dennoch sieht Schmerbeck Potenzial: „In neun von zehn Notfalleinsätzen ist weniger die ärztliche Handfertigkeit als vielmehr medizinisches Wissen gefragt. Diese Wissenslücke kann der Telenotarzt schließen – vorausgesetzt, Technik, Vertrauen und Teamarbeit stimmen.“

Empfehlungen für die Praxis

Als Konsequenz aus den Studienergebnissen empfiehlt Schmerbeck unter anderem:

  • Gemeinsame Trainings für Notärzt*innen, Rettungsdienstpersonal und Telenotärzt*innen
  • Rechtliche Klarstellungen zur Delegation ärztlicher Maßnahmen
  • Weiterentwicklungen in Technik und Dokumentation
  • Größere Studien mit höheren Fallzahlen zur Validierung der Ergebnisse 

Sein Fazit fällt differenziert aus: „Der Telenotarzt ist eine sinnvolle Unterstützung für das bestehende Rettungsdienstsystem; er muss jedoch sinnvoll eingesetzt werden.“

Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse bei Studierenden und Fachpublikum. Sie unterstrich einmal mehr die Bedeutung evidenzbasierter Entscheidungen in der gesundheitspolitischen Debatte um die Zukunft der Notfallversorgung.

Am Mittwoch, dem 23. Juli um 15:30 Uhr, wird Dr. Melanie Reuter-Oppermann ihr Forschungsthema „KI- und Daten-basierte Unterstützung von Prozessen und Entscheidungen in Rettungsdienst und Leitstelle“ vorstellen. Eine Anmeldung ist für den Erhalt der Zugangsdaten erforderlich: Ringvorlesung Rettungswissenschaften 2025.