Oh, - Sie sind Persönlichkeitspsychologe! Können Sie mich jetzt durchschauen?

Interview mit Dr. Christoph Kemper, Professur für Differentielle Psychologie und Diagnostik

Herzlich Willkommen, Dr. Kemper! Wie war Ihr Einstieg in die Arbeit bei uns an der HSD?

Der Einstieg war angenehm. Die ersten Tage nach dem Jahreswechsel waren recht ruhig. Viele Kolleginnen und Kollegen waren noch im Weihnachtsurlaub. Auch die Einarbeitung begann entspannt. Nach ein paar Tagen habe ich das Tempo aber deutlich angezogen, weil bereits Ende Januar meine erste Vorlesung stehen musste. Ich war sehr gespannt auf die Studierenden der HSD und die erste Veranstaltung, die inzwischen hinter mir liegt, hat mir viel Freude gemacht. 

Nun sind Sie zukünftig u.a. für „Differentielle Psychologie“ als Lehrgebiet zuständig, ein Wort, das viele am Studienanfang noch nie gehört haben dürften. Um was geht es denn eigentlich in Ihrem Spezialgebiet?

Die Differentielle Psychologie untersucht Merkmale, in denen sich Menschen unterscheiden. Dies sind in der Regel nicht-pathologische, zeitlich weitgehend stabile Besonderheiten im menschlichen Erleben und Verhalten. Darunter fallen a) Persönlichkeitsmerkmale im engeren Sinne, wie bspw. Extraversion und Gewissenhaftigkeit, b) handlungsbezogene Merkmale wie Ziele und Motive, c) selbstbezogene Merkmale wie Selbstkonzept und Selbstwertgefühl, Einstellungen und Werte, sowie d) biologische Merkmale wie physische Attraktivität oder physiologische Parameter.

Ist das nicht eigentlich ein uraltes Fach, wenn man an die Temperamentenlehre in der griechischen Antike zurückdenkt? Gibt es da noch Neues zu erforschen? Was sind denn die spannendsten Entwicklungen in der Differentiellen Psychologie in jüngerer Zeit?

Unbedingt. Gerade in den letzten drei Dekaden hat es unglaubliche Fortschritte im Bereich der Persönlichkeitsstrukturforschung gegeben. So wissen wir heute bspw. viel genauer, aus welchen «Grundbausteinen» sich die Persönlichkeit zusammensetzt. Als Meilenstein in diesem Bereich gilt das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit, nach dem sich die Persönlichkeit von Menschen anhand der Merkmale Extraversion, Emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrungen beschreiben lässt. Aber auch Ansätze, welche die «dunkle Seite» der Persönlichkeit stärker ausleuchten, wie die Dark Triad - Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie - werden verfolgt. Wir können ein immer genaueres Bild von der Struktur der Persönlichkeit zeichnen. 

Hinzu kommt Forschung zur Wahrnehmung von Situationen, die lange Jahre nicht im Fokus von Persönlichkeitspsychologen standen. Daraus ergeben sich interessante Erkenntnisse, wie die statischen Aspekte der Persönlichkeit mit Faktoren der Situation interagieren und menschliches Verhalten präziser beschrieben werden kann. Eine wichtige Voraussetzung dafür sind Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der statistischen Modellierung, da solche Interaktionsprozesse optimalerweise im Zeitverlauf betrachtet werden müssen. Eine Vielzahl von Einflussvariablen spielen dabei eine Rolle.  So wird es möglich, diese komplexen Prozesse immer besser zu modellieren, was neue Erkenntnisse hervorbringt, wie sich unsere Persönlichkeit in bestimmten Stationen des Alltags auswirkt. 

Und was wären die spannendsten Entwicklungen in der psychologischen Diagnostik, die ja Ihr zweites „Standbein“ an der HSD darstellt?

Auch in der Psychologischen Diagnostik gibt es viele spannende neue Entwicklungen. Der technologische Wandel im 21. Jahrhundert bringt tiefgreifenden Veränderungen mit sich und beeinflusst die Art und Weise, wie wir leben, einander begegnen und arbeiten. Für die Psychologische Diagnostik und die Persönlichkeitspsychologie entstehen dabei interessante neue Anwendungsfelder. Bspw. führen Unternehmen ihre Personalauswahl und ihr Personalmarketing nun häufiger im Netz durch. Themen wie das Profiling potentieller Bewerberinnen und Bewerber, Online-Assessment und E-Recruiting werden immer wichtiger. Hier kann und muss das klassische Instrumentarium der Psychologischen Diagnostik auf neue Anwendungskontexte übertragen und angepasst werden. So ergeben sich neue Zugänge und Methoden für die Messung von Persönlichkeit bspw. auf der Grundlage von XING- oder Facebook-Profilen oder über Computerspiele (Stealth Assessment) 

Dass man in der alltäglichen Berufspraxis eine gute diagnostische Ausbildung braucht, werden die meisten Studierenden, aber auch die meisten Nicht-Psychologen/innen so sehen. Aber wozu braucht man nun ganz praktisch als Psychologe die Ausbildung in Differentieller Psychologie?

In den meisten Tätigkeitsfeldern für Psychologinnen und Psychologe ist es das wichtigste Ziel, menschliches Erleben und Verhalten verstehen und vorhersagen zu können. Unser Verhalten wird massgeblich dadurch beeinflusst, wie wir bestimmte Ereignisse in unserer Umwelt interpretieren. Diese Interpretationen wiederum, unsere «spezifische Sichtweise der Welt», haben viel mit unserer Persönlichkeit zu tun. Daher ist es nicht möglich, menschliches Erleben und Verhalten verstehen und vorhersagen zu wollen, ohne sich mit den Merkmalen zu beschäftigen, in denen sich Menschen voneinander unterscheiden. Dies ist das zentrale Anliegen der Differentiellen Psychologie. 

Und wie haben Sie eigentlich zu Ihrem Spezialgebiet in der Psychologie gefunden?

Der Grundstein wurde bereits in meinem Studium in Marburg gelegt. Dort habe ich mich im Hauptstudium vertieft mit den Fächern Differentielle Psychologie, Diagnostik und Forschungsmethoden auseinandergesetzt. Die Differentielle Psychologie hat mich damals schon fasziniert, weil ich sie als den Königsweg gesehen habe, das Verhalten von Menschen im Alltag zu erklären. Die Diagnostik stellt passende Instrumente bereit, um Persönlichkeit messen und beschreiben zu können. Die Forschungsmethoden bieten Modelle und Analysemethoden, die es uns ermöglichen, belastbare Aussagen über die Persönlichkeit von Menschen aus empirischen Daten abzuleiten. Meine beruflichen Tätigkeiten im Anschluss an die Graduierung folgten dann dieser Schwerpunktsetzung. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren in Lehre, Forschung und Beratung mit Persönlichkeitsmerkmalen und deren Messung.

Welche Pläne haben Sie denn mittelfristig für Ihre Lehre und Ihre Forschung? Was haben ggf. da die Studierenden davon, wenn Sie diese Pläne umsetzen?

Nun zunächst habe ich vor, den Studierenden der HSD eine gute Lehre in den Disziplinen zu bieten, die mich selbst seit Jahren beschäftigen und faszinieren. Mein Ziel ist es, ansprechende Lehrveranstaltungen zu konzipieren und die Studierenden hinreichend auf die beruflichen Herausforderungen vorzubereiten, die nach der Graduierung auf sie warten. Dies möchte ich unter anderem dadurch erreichen, dass ich meine Lehre eng mit meiner Forschung und auch meiner Beratungstätigkeit verzahne. So bekommen die Studierenden die Möglichkeit, ihre theoretischen Kenntnisse einzusetzen und bereits früh in ihrer akademischen Ausbildung berufspraktische Skills zu erlernen. 

Dr. Kemper, Vielen Dank für dieses Gespräch!

Ich danke Ihnen!